Neustart

Aufhören nach dem ersten Staatsexamen – und jetzt?

Junge Frau in der Bibliothek
Foto: Ria Kipfmüller

Wer Arzt bzw. Ärztin, Anwalt bzw. Anwältin oder – je nach Bundesland – Lehrer/-in werden möchte, muss ein oder mehrere Staatsexamina ablegen, um das Studium erfolgreich abzuschließen. Doch welche Optionen haben diejenigen, die sich nach der ersten staatlichen Prüfung umorientieren wollen oder müssen?

Wer möchte schon gerne von Ärzt(inn)en operiert, von Lehrer(innen) unterrichtet oder von Apotheker(inn)en beraten werden, die ihr Fachgebiet nicht richtig beherrschen? Weil mit bestimmten Berufen eine besondere Verantwortung einhergeht, gibt es in Deutschland das Staatsexamen als zentrale Zugangskontrolle. „Professionshistorisch betrachtet sind Medizin, Jura und die Lehrämter die Vorläufer der Fächer mit Staatsexamen. Schon länger gibt es das Staatsexamen aber in weiteren Fächern wie der Pharmazie“, erklärt Dr. Martin Griepentrog, Berater für akademische Berufe im Hochschulteam der Universität Bielefeld. Auch Lebensmittelchemiker/-innen, die für staatliche Behörden Kontrollen durchführen, oder Forstwirte und Forstwirtinnen müssen vorab ein Staatsexamen ablegen.

Ein Teil der Studiengänge, die in Berufe wie Lehrer/in oder Jurist/in führen, schließen inzwischen jedoch mit Bachelor und Master ab, zum Beispiel dem Master of Education im Lehramtsstudium. Absolvent(inn)en legen eine staatliche Prüfung dann erst nach Ablauf einer berufsvorbereitenden Praxisphase, etwa in einer Schule oder bei einem Gericht, ab.

Unterschiedliche Prüfungszeiten

Ein Porträt-Foto von Dr. Martin Griepentrog
Foto: privat

Ist das Staatsexamen Teil der universitären Ausbildung, besteht es häufig aus mehreren Prüfungsabschnitten. Wer zum Beispiel an der Universität Tübingen Pharmazie belegt, absolviert nach dem viersemestrigen Grundstudium das erste Staatsexamen, nach dem viersemestrigen Hauptstudium das zweite Staatsexamen und nach dem einjährigen Praktikum das dritte Staatsexamen.

In anderen Staatsexamens-Studiengängen sind keine Zwischenprüfungen vorgesehen. Martin Griepentrog sieht das kritisch – zumal die Durchfallquote zum Teil sehr hoch ist. „Das Staatsexamen in Rechtswissenschaften ist ungemein hart. Eine Vielzahl der Jurastudierenden fallen nach einer langen Studienzeit durch und können dann außer dem Abitur keinen Abschluss vorweisen.“

Gleichfalls müssen sich Studierende anderer Studiengänge, die mit dem Staatsexamen abschließen, beruflich neu orientieren, wenn sie die Prüfung nicht meistern. Allerdings sind die Durchfallquoten in den anderen Studienfächern weitaus geringer. „Wer etwa einen der begehrten Medizinstudienplätze ergattert hat, bringt in der Regel die Voraussetzungen mit und kann auch mit dem hohen Lern- und Arbeitsdruck umgehen, der in diesem Studienfach gefragt ist. Außerdem bietet der Arztberuf attraktive Perspektiven, was die Bezahlung, die Anstellungsmöglichkeiten und das Ansehen angeht. Das erhöht die Motivation der Studierenden“, ist sich Martin Griepentrog sicher.

Auf dem falschen Weg?

Doch nicht immer ist ein Scheitern an der Prüfung der Grund für eine Umorientierung: Auch die Gründe, die ursprünglich geplante Berufslaufbahn nach dem ersten Staatsexamen abzubrechen, sind vielfältig. Diese Erfahrung hat auch Eva-Martina Maluck, Berufsberaterin der Agentur für Arbeit Tübingen, in ihren Beratungen gemacht: „Einigen war das Studium an der Universität zu theoretisch oder ihnen fehlen die Berufsperspektiven. Manche haben Leistungsprobleme, sind überfordert oder fühlen sich am Studienort nicht wohl. Andere haben zum Beispiel finanzielle oder gesundheitliche Probleme.“ Gerade Lehramtsstudierende merken häufig erst im Referendariat, dass sie doch nicht an der Schule arbeiten möchten. Viele von ihnen fühlen sich vom tatsächlichen Beruf gestresst und überlastet.

Wenn angehende Lehrkräfte im Referendariat merken, dass sie gar nicht an der Schule arbeiten wollen, oder angehende Jurist(inn)en nach jahrelangem Studium durch die Prüfung fallen, bricht für sie häufig eine Welt zusammen. Eine professionelle Beratung kann in dieser verzweifelten Lage das Selbstbild stärken, Hoffnung geben und Perspektiven aufzeigen.

Beispiele aus der Praxis: Aufhören nach dem ersten Staatsexamen – und jetzt?

Offene Ohren bei der Berufsberatung

Ein Porträt-Foto von Eva-Martina Maluck
Foto: privat

Eva-Martina Maluck erklärt: „Alle Themen, die eher mit dem Studium an sich zu tun haben, sind gut bei der allgemeinen Studienberatung der jeweiligen Hochschule aufgehoben. Darunter fallen Punkte wie Fachwechsel, Prüfungsleistungen, Prüfungsangst und so weiter. Wenn es eher um größere Veränderungen geht, dann sind die Arbeitsagenturen in ihrem Element. Das betrifft zum Beispiel einen Hochschul- oder Ortswechsel, die Aufnahme eines neuen Studiums, den Berufseinstieg oder den Arbeitsmarkt.“

Berater/-innen helfen Zweifelnden, Antworten auf die entscheidenden Fragen zu finden: Welche Stärken, Talente, Werte, Wissensbestände und Erwartungen bringe ich mit? Sind die beruflichen Perspektiven, auf die ich hinarbeite, überhaupt reizvoll für mich? Welche Alternativen kommen gegebenenfalls für mich in Frage? Wie kann ich meine bisherigen Erfahrungen und Leistungen dafür nutzen?

Verschiedenste Szenarien möglich

Die Optionen sind vielfältig und unterscheiden sich von Fall zu Fall. Eva-Martina Maluck gibt drei Beispiele: „Wer schon einen Bachelorabschluss in der Tasche hat, kann versuchen, den für den Berufseinstieg zu nutzen. Wer noch einmal neu studieren möchte, kann seine bisherigen Leistungen von einer anderen Hochschule eventuell anrechnen lassen oder einen kompletten Neustart wagen. Und wer sich ohne Finanzierungsmöglichkeit neu orientieren möchte, kann ein duales Studium oder eine Ausbildung in Erwägung ziehen.“

Die Möglichkeiten, auch bereits nach dem ersten Staatsexamen in der Berufswelt Fuß zu fassen, sind grundsätzlich vorhanden: Angehende Jurist(inn)en können etwa als Sachbearbeiter/-in oder Rechtsberater/-in arbeiten. Studienabbrecher/-innen aus dem Bereich der Humanmedizin finden einen Platz in medizinischen Berufen oder verwandten Ausbildungsberufen (weitere Informationen finden Sie in unserer Übersicht).

Und auch Martin Griepentrog macht Mut zum Wechseln: „Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt ist heute sehr offen für unterschiedliche Biografien. Es ist nie zu spät für neue Wege.“

Weitere Informationen

abi.de

Infoportal der Bundesagentur für Arbeit. In der Rubrik Orientieren finden Sie Beiträge mit dem Fokus „Ich will etwas machen mit …“. Und die Rubrik „Karriere & Praxis“ enthält zahlreiche Tipps für den Berufseinstieg sowie Reportagen aus ausgewählten Berufen.
www.abi.de

BERUFENET

Das Netzwerk für Berufe der Bundesagentur für Arbeit mit über 3.000 ausführlichen Beschreibungen in Text und Bild
berufenet.arbeitsagentur.de

Check-U

Erkundungstool der Bundesagentur für Arbeit für Personen mit Hochschulreife
www.check-u.de

studienabbruch-und-dann.de

Portal des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit Informationen, Tipps und Erfahrungen von Studienabbrecher/innen.
studienabbruch-und-dann.de