Durch die Corona-Pandemie ist die digitale Lehre in den Fokus gerückt. In verschiedensten Ausprägungen ist sie aber schon länger im deutschen Hochschulalltag präsent und scheint sich nun endgültig zu etablieren.
Foto: privat
Was für andere in den vergangenen Monaten eine ganz neue Erfahrung war, ist für Boris Bischoff Alltag: Der 35-Jährige absolviert sein Studium der Medieninformatik digital. Nach Feierabend beginnt für ihn die Studienzeit. Die Motivation dafür ist nach einem Arbeitstag nicht immer leicht aufzubringen. Doch im digitalen Austausch mit seinen Kommiliton*innen fällt es ihm leichter.
„Wir haben uns bei einem Präsenztag im Bachelorstudium kennengelernt“, erzählt der Student der Virtuellen Fachhochschule (VFH). Seitdem helfen sich die Studierenden gegenseitig durch das Studium. Andere sind seitdem hinzugekommen, mit denen er über Messenger, soziale Medien oder das Forum verbunden ist. „Man studiert auch digital nicht allein. Ich habe viel Kontakt zu meinen Mitstudierenden. Wir sind eine richtige Schicksalsgemeinschaft geworden“, fasst er zusammen. „Wir treffen uns auch persönlich. Lediglich einen Mitstudenten, mit dem ich öfter zu tun habe, habe ich noch nie gesehen.“
Den Verbund der virtuellen Fachhochschule gibt es bereits seit 2001, also lange vor der Corona-Pandemie. Schon ein Jahr früher haben sich die bayerischen Hochschulen zur Virtuellen Hochschule Bayern (vhb) zusammengeschlossen, um ihre Online-Angebote zu vernetzen. Ähnliche Projekte gibt es in anderen Bundesländern. Fernstudiengänge – etwa der Fernuniversität in Hagen – werden seit langem online genutzt.
„Schon vor der Pandemie war die digitale Lehre im Kommen“, erläutert Melanie Ewert, Programmmanagerin beim Stifterverband und im Hochschulforum Digitalisierung. „Die Angebote gingen aber eher von einzelnen Projekten, Hochschulen und interessierten Lehrkräften aus. Seit dem ersten Lockdown ist die Digitalisierung jedoch im Schnellverfahren in allen Studiengängen, auch in Präsenzhochschulen, angekommen. Mittlerweile versuchen viele Lehrende, das Positive aus Präsenz und Online im Studium zu vereinen.“
Selbstbestimmtes Lernen
Die Formen des digitalen Lernens sind vielfältig. So gibt es reine Online-Studiengänge, in denen nur wenige Präsenztage am Wochenende oder für Prüfungen vorgesehen sind. In Blended Learning-Einheiten werden Online-Angebote und Präsenzlehre kombiniert. Außerdem bauen die Hochschulen die Angebote für alle aus. In MOOCs (Massive Open Online Courses) kann man sich ohne Zugangs- und Zulassungsbeschränkungen zu bestimmten Themen weiterbilden und Zertifikate erwerben.
„Der Vorteil der digitalen Lehre ist, dass sie einen schnelleren und größeren Zugang zur Wissensvermittlung ermöglicht“, erklärt Melanie Ewert. „Das Lernen erfolgt weitgehend orts- und zeitunabhängig. Verschiedene Lerntypen können über unterschiedliche didaktische Online-Angebote gut angesprochen werden. Der Lernprozess erfolgt bei der digitalen Lehre sehr selbstbestimmt.“
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Funktionierende Technik
Die Voraussetzung zur Teilnahme an einem digitalen Studium ist allerdings eine auf beiden Seiten funktionierende Technik. „Ein digitales Endgerät und eine stabile Internetverbindung sind unabdingbar für ein Online-Studium“, sagt die Expertin des Hochschulforums Digitalisierung. „Hinzu kommt, dass man wissen muss, wie man mit der Software umgeht. Wie komme ich an meine Unterlagen auf der Lernplattform? Wie verhalte ich mich in Webkonferenzen? Die Fragen im Online-Bereich unterscheiden sich von denen im Präsenzstudium.“
Andere Studienform, andere Anforderungen: Das weiß auch Marie-Ann Funke, Berufsberaterin der Agentur für Arbeit Hildesheim: „Man sollte für ein digitales Studium eine gewisse Medien- und PC-Affinität mitbringen. Die technikbezogenen Kompetenzen, die in einem rein digitalen Studium vorausgesetzt werden, sind teilweise umfangreicher als jene, die durch Allgemeinbildende Schulen vermittelt werden. Das heißt, dass eine recht eigenständige Aneignung von erforderlichen Tools erwartet wird und dass die Einführungen und Erklärungen dieser selbst digital stattfinden.“
Selbstdisziplin besonders gefragt
Selbstständiges Arbeiten ist die Voraussetzung für jedes Studium, für das Lernen mit Online-Materialien gilt das umso mehr: „Ein digitales Studium erfordert ein hohes Maß an Selbstorganisation und Selbstdisziplin. Man muss zu Hause immer wieder die Motivation aufbringen, weiter zu lernen und sich nicht ablenken zu lassen“, sagt die Berufsberaterin. Im Präsenzstudium sind die festen Termine der Lehrveranstaltungen vor Ort, der persönliche Kontakt und der Austausch mit anderen Studierenden hilfreich, die Motivation auch in schwierigen Phasen aufrecht zu erhalten. „Die Anonymität und der reduzierte soziale Kontakt zu den Lehrenden und Mitstudierenden ist ein Manko der digitalen Lehre“, findet Melanie Ewert.
Für die meisten Studierenden überwiegen trotzdem die Vorteile. „Mit einem Onlinestudium lassen sich Berufstätigkeit, Kinderbetreuung oder Pflegezeit gut vereinbaren“, erklärt die Expertin der Agentur für Arbeit. „Durch das raum- und zeitungebundene Angebot kann man sich das Lernen selbst einteilen.“ Wer überlegt, einen digitalen Studiengang zu beginnen, sollte sich jedoch genau informieren. Marie-Ann Funke rät: „Es gibt bei den Fernstudiengängen große Unterschiede. Bekomme ich mit dem Studiengang den Abschluss, den ich möchte? Ist er staatlich anerkannt und führt zu meinem Wunschberuf? Welche Kosten kommen auf mich zu? Bei der Auswahl der Hochschule und des Studiengangs gilt es genau hinzuschauen und sich gegebenenfalls beraten zu lassen.“
Weitere Informationen
abi.de
Infoportal der Bundesagentur für Arbeit mit Erfahrungsberichten und Infos rund ums Studium. abi.de
Virtuelle Fachhochschule (VFH)
Hochschulverbund, der akkreditierte Online-Studiengänge Virtuelle Fachhochschule, länderübergreifender anbietet. vfh.de
Virtuelle Hochschulen der Länder
Zusammenschlüsse von Hochschulen für digitale Lehre, Nordrhein-Westfalen und Bayern dh.nrw vhb.org