Medizin studieren, ohne je ein Gymnasium besucht zu haben? Genau das macht Jelena Courvoisier (34). Ihr gelang der Zugang zur Hochschule dank einschlägiger Berufsausbildung, mehrjähriger Berufserfahrung, einer Hochschuleignungsprüfung – und viel Willen!
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Einfach war der Weg nicht, der hinter Jelena Courvoisier liegt. Aber nun hat sie es geschafft: Die 34-Jährige studiert an der Universität Kiel Humanmedizin – mit einem Realschulabschluss.
Nach ihrem Schulabschluss im Jahr 2005, entschied sie sich zunächst für eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin, hängte eine Ausbildung zur Notfallsanitäterin an und arbeitete anschließend einige Jahre im Rettungsdienst in dieser Funktion. Währenddessen besuchte sie viele Fortbildungen und war unter anderem bei der Bergrettung Baden-Württemberg tätig.
„Ich merkte allerdings, dass es für mich inhaltlich nicht weitergeht. Ich weiß zwar viel, darf aber nur wenig davon anwenden, weil es schnell in den ärztlichen Handlungsbereich geht“, erzählt Jelena Courvoisier. „Das war frustrierend.“ Deswegen suchte sie nach Möglichkeiten, wie sie sich beruflich weiterentwickeln könnte. Die für sie spannendste Option: ein Medizinstudium. Jelena Courvoisier recherchierte die Voraussetzungen und stellte fest: sogar das geht ohne Hochschulreife!
Plötzlich ging es schnell
Vor rund einem Jahr stieß sie im Rahmen ihrer Recherchen nämlich auf die Hochschuleignungsprüfung für beruflich Qualifizierte an der Universität Kiel. „Im Januar 2022 habe ich bei der Uni per Mail einen formlosen Antrag für die Prüfung gestellt und konnte diese im Juli antreten.“
Während der einstündigen, mündlichen Prüfung stellten ihr drei Prüfer*innen unter anderem Fragen zu den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Sprachen. „Direkt im Anschluss habe ich meine Note bekommen: Ich hatte bestanden, bekam eine Bescheinigung und konnte mich damit bei der Stiftung für Hochschulzulassung um einen Medizin-Studienplatz in Schleswig-Holstein bewerben.“ Die Bewerbung war erfolgreich, sie bekam einen Platz in Kiel ab dem kommenden Wintersemester.
Für Studienvorbereitungskurse war keine Zeit mehr. Die medizinische Fakultät hatte ihr aber geraten, sich mit Lehrbüchern der Oberstufe auf naturwissenschaftliche Themen vorzubereiten.
Motivation fällt leicht
Im Oktober ging es dann los mit dem Studium der Humanmedizin. „Der Wechsel an die Uni ist nicht einfach, weil das theoretische Lernen nach so vielen Jahren in der Praxis für mich ungewohnt ist“, sagt die 34-Jährige. „Trotzdem fällt es mir leicht, mich zu motivieren, denn ich habe lange dafür gekämpft, hier zu sein.“
Inhaltlich sieht sie sich dabei nicht im Nachteil, bringt sie doch auch ohne Abitur viel Wissen aus ihrem Job mit. Die Erfahrungen aus dem Schichtdienst haben ihr außerdem geholfen, sich und ihre Zeit zu organisieren. „Ein weiterer Vorteil den jüngeren Mitstudierenden gegenüber ist, dass die gerade lernen, allein zu leben. Das ist für mich nichts Neues mehr.“ Mit ihrem Arbeitgeber hat die Studentin vereinbart, dass sie in Teilzeit weiterarbeitet und Geld verdienen kann.
Zwölf Fachsemester Studium muss Jelena Courvoisier nun schaffen, danach folgt das Praktische Jahr. „Mein Ziel ist es, den Notarztschein zu machen“, erzählt sie. „Mein Herz schlägt aber für die Allgemeinmedizin, weil ich merke, dass mir das gut liegt.“ Wo genau sie in einigen Jahren sein wird, weiß sie daher jetzt noch nicht genau. „Für mich ist aber schon jetzt ein Traum in Erfüllung gegangen: Ich bin endlich an der Uni!“