Viele Abiturient*innen möchten nach dem Abschluss nicht direkt in ein Studium oder eine Ausbildung starten, sondern stattdessen eine Auszeit nehmen – die sie oft auch für die berufliche Orientierung nutzen.
Zoe Rentmeister (21) hat solch eine Erfahrung gemacht. Direkt nach dem Abitur startete sie im Rahmen von „weltwärts“ einen Freiwilligendienst in Peru, lebte in der Hauptstadt Lima bei einer einheimischen Gastfamilie und arbeitete in einer Waldorfschule. „Da ich mich gerne mit Kindern beschäftige und die Schule mochte, hatte ich mir überlegt selbst Lehrerin zu werden oder im bildungspolitischen Bereich zu arbeiten. Deshalb habe ich mir diese Einsatzstelle ausgesucht.“ Begleitet von ausgebildeten Lehrkräften durfte die 21-Jährige in Lima selbst unterrichten, den Unterricht vor- und nachbereiten und einigen Schüler*innen auch Einzelförderunterricht geben. Die Sprache lernte sie vor Ort.
Wenn mal Lehrpersonal fehlte, übernahm die Freiwillige die entsprechende Stunde. Außerdem konnte sie eigene Projekte verwirklichen. „Ich habe zum Beispiel mit einer Mitfreiwilligen große Bilder auf die Schulhofwände gemalt und mir ein Nachhaltigkeitsprojekt für alle Klassenstufen ausgedacht.“
Aufgrund der Corona-Pandemie musste Zoe Rentmeister ihren Freiwilligendienst zwar nach sieben Monaten vorzeitig abbrechen, von den Erfahrungen profitiert sie aber dennoch in vielerlei Hinsicht. „Mir ist unter anderem bewusst geworden, dass ich anstatt Kinder zu unterrichten später lieber Bildungszentren in ehemaligen Kriegsgebieten aufbauen möchte.“ Obendrein wurde der Rückkehrenden klar, dass sie mehr über Wirtschafts-, Macht- und Politikstrukturen wissen wollte, um sich für Aufklärungsarbeit und Ungleichheitsbekämpfung in der Welt einzusetzen. Genau deswegen studiert Zoe Rentmeister mittlerweile Europäische Studien an der Universität Osnabrück. Im kommenden Jahr wird sie im Rahmen von Erasmus nach Spanien gehen und ihren Bachelorabschluss erlangen. „Außerdem arbeite ich seit vergangenem Jahr für meine Trägerorganisation und begleite neue Freiwillige auf ihrem Weg vor, während und nach ihrem Dienst, was mir sehr viel gibt.“
Auszeit im In- und Ausland
Für eine Auszeit vor dem Studium, wie sie Zoe Rentmeister eingelegt hat, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ann Lorschiedter von „Eurodesk Deutschland“ hat den Überblick: „Dazu gehören neben staatlich geförderten Freiwilligendiensten im Ausland, unter anderem mit den Programmen ‚weltwärts‘ oder ‚kulturweit‘, auch Angebote in Deutschland – konkret das Freiwillige Soziale Jahr, das Freiwillige Ökologische Jahr und der Bundesfreiwilligendienst.“ Bei den ebenfalls vorhandenen, kommerziellen Angeboten für kurzzeitige Freiwilligenarbeit rät sie zu einem kritischen Blick auf die jeweilige Organisation. Hinweise zur Auswahl einer seriösen Organisation finden sich auf der Website www.rausvonzuhaus.de.
Förderung, Kosten und Finanzierung
Foto: privat
In der Regel ist ein Freiwilligendienst auf sechs bis zwölf Monate angelegt. Eine Ausnahme stellt das im Rahmen von Erasmus+ Jugend in Aktion geförderte Europäische Solidaritätskorps (ESK) dar. Hier ist ein Einsatz bereits ab zwei Monaten möglich. „Bei der Förderung handelt es sich immer um eine Teilförderung“, gibt die Expertin zu verstehen, „Interessierte sollten also einen Eigenanteil kalkulieren“, der je nach Einsatzort und Dauer variiert. Auch um ein Reisestipendium wie etwa DiscoverEU kann man sich bewerben. Beim Freiwilligen Sozialen bzw. Ökologischen Jahr sowie dem Bundesfreiwilligendienst erhalten Teilnehmer*innen ein Taschengeld.
Als weitere Möglichkeit nennt Ann Lorschiedter das Jobben im Ausland: Work & Travel-Angebote kombinieren Arbeiten und Reisen und sind inzwischen in zwölf Ländern möglich. „Solche Programme bieten eine große Flexibilität, weil Teilnehmende dabei selbst entscheiden können, wann, wo und wie lange sie arbeiten.“ Ähnlich sieht es beim auch in Deutschland möglichen WWOOFing aus, das sich auf Arbeiten auf ökologischen Bauernhöfen konzentriert.
Als Au-pair wiederum lebt man für meist sechs bis zwölf Monate in einer Gastfamilie, betreut die Kinder und hilft bei der Hausarbeit. In Australien und Neuseeland werden Demi-pair-Aufenthalte mit integriertem Sprachunterricht angeboten. In den USA gibt es neben regulären Au-pair-Aufenthalten auch die Möglichkeit eines EduCare-Aufenthalts, bei dem man neben der Kinderbetreuung Kurse an einer Universität besucht. „Bei einem Au-pair-Aufenthalt empfehlen wir, sich eine Entsendeorganisation zu suchen die eine Gastfamilie vermittelt und im Krisenfall helfen kann“, empfiehlt die Expertin.
Tipps für die Bewerbung
Wichtig ist, sich frühzeitig zu bewerben. Wer einen Platz in einem staatlich geförderten Programm ergattert und nicht auf einen privaten Anbieter zurückgreifen muss, spart einen Großteil der Kosten. „Bei einem Freiwilligendienst im Ausland empfehlen wir, sich etwa ein Jahr vor der geplanten Ausreise bei mehreren Organisationen zu bewerben“, erklärt Ann Lorschiedter. „In unserem Last-Minute-Markt auf rausvonzuhaus.de gibt es allerdings auch immer Angebote für Kurzentschlossene. Grundsätzlich gilt, dass man flexibel sein sollte, was das Zielland angeht, auch bezüglich der gewünschten Tätigkeit und Dauer.“ Wichtig ist außerdem, sich beim Auswärtigen Amt bezüglich Reise- und Sicherheitshinweisen zum jeweiligen Gastland zu informieren.
Um in Deutschland weiterhin Kindergeld und gegebenenfalls eine (Halb-)Waisenrente zu beziehen, muss der Aufenthalt im Ausland als Lernaufenthalt durch die Kindergeldkassen anerkannt werden. „Dies ist zum Beispiel möglich durch den Besuch von Sprachkursen vor Ort oder bei der Teilnahme an einem geförderten Freiwilligendienst. Vor einem Aufenthalt sollten Interessierte in jedem Fall die zuständige Kindergeldkasse kontaktieren.“