Studium mit Behinderung

Viel Sensibilisierungsarbeit

Nahaufnahme dreier Piktogramme aus Metall, auf Stein befestigt. Links ist ein männliches Icon zu sehen, in der Mitte ein weibliches und rechts ein Rollstuhlfahrer.
Foto: Bundesagentur für Arbeit

Stephanie Feinen ist Beraterin im „Kompetenzzentrum Behinderung, akademische Bildung und Beruf“ (kombabb) in Nordrhein-Westfalen (NRW). Im Gespräch mit Studienwahl erklärt sie, welche Unterstützungsmöglichkeiten für Studierende mit Behinderungen oder chronischer Erkrankung es gibt und wer Anspruch darauf hat.

studienwahl.de: Frau Feinen, Sie sind Beraterin bei kombabb, einem Kompetenzzentrum für Studierende und Studieninteressierte mit Behinderung oder chronischer Erkrankung in NRW. Können Sie kurz erzählen, wo Ihre Tätigkeitsfelder genau liegen?

Stephanie Feinen: Gerne. Ich bin stellvertretende Leiterin und Beraterin bei kombabb. Zu meinen Tätigkeiten gehören zum Beispiel die Durchführung von Informationsveranstaltungen und Sprechtagen in ganz NRW.
Generell unterstützen wir Schüler*innen mit Behinderung auf ihrem Weg ins Studium und klären mit ihnen ab, wie sich Studium und Behinderung am besten miteinander vereinbaren lassen. Wir helfen bei der Wahl des Studienfaches, des Studienortes und der Hochschule, aber auch beim Einreichen von Sonderanträgen im Bewerbungs- und Zulassungsverfahren, Nachteilsausgleichen im Studium usw.

studienwahl.de Wo können sich junge Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, die sich für ein Studium in Deutschland interessieren, beraten und unterstützen lassen?

Stephanie Feinen: In NRW gibt es zum Beispiel uns. Wir unterstützen hochschulunabhängig. Wenn bereits klar ist, an welche Hochschule es gehen soll, kann man auch die Beratungsstellen direkt vor Ort aufsuchen. Beauftragte für Studierende mit Behinderung gibt es mittlerweile an fast allen deutschen Hochschulen.
Bereits in der Bewerbungsphase gibt es „Sonderanträge“, die eine Behinderung oder chronische Erkrankung berücksichtigen: der „Härtefallantrag“, der „Antrag auf Verbesserung der Abitur-Durchschnittsnote“ und der „Antrag auf Verbesserung der Wartezeit“.

studienwahl.de: Und welche Unterstützungsangebote stehen Studierenden mit Beeinträchtigung während des Studiums zu?

Porträt-Foto von Stephanie Feinen
Foto: privat

Stephanie Feinen: Zum einen können Nachteilsausgleiche beantragt werden. Dabei handelt es sich um angepasste Studienbedingungen, die Studierenden mit Behinderung eine chancengleiche Teilhabe ermöglichen sollen. Diese sind immer individuell. Jede*r betroffene Student*in sollte für sich prüfen, welche Ausgleiche benötigt werden, um zu möglichst gleichen Bedingungen studieren oder Prüfungen ablegen zu können. Beispiele für Nachteilsausgleiche im Studium sind Zeitverlängerungen bei Klausuren, ein eigenes Prüfungszimmer oder die Nutzung technischer Hilfsmittel. Beantragen kann man sie direkt an der Hochschule, meistens beim Prüfungsausschuss des jeweiligen Fachbereiches.
Zum anderen gibt es die sogenannte „Teilhabe an Bildung“. Das sind in der Regel Studienassistenzen, technische Hilfsmittel oder Mobilitätshilfen. Studienassistent*innen können in Vorlesungen Mitschriften erstellen, wenn das für betroffene Studierende nicht möglich ist, aber auch zum Beispiel bei der Bibliotheksarbeit unterstützen. Technische Hilfsmittel können eine Sprach- oder Vergrößerungssoftware für den PC sein, wenn beispielsweise eine Sehbehinderung vorliegt, und unter der Mobilitätshilfe versteht man die Unterstützung beim Zurücklegen der Strecke vom Wohnort zur Hochschule und zurück. Diese Unterstützungsleistungen, die stets studien- und behinderungsbezogen sein müssen, werden nicht über die Hochschule beantragt, sondern über überörtliche Sozialhilfeträger. In NRW sind das zum Beispiel die Landschaftsverbände LVR und LWL.

studienwahl.de: Wer ist zu diesen Leistungen berechtigt?

Stephanie Feinen: Alle Studierenden, die eine Behinderung oder chronische Erkrankung haben, die sich erschwerend auf das Studium auswirkt. Hierzu zählen sowohl nicht-sichtbare (wie z.B. Diabetes, Epilepsie, eine Autismus-Spektrum-Störung oder psychische Erkrankung) als auch sichtbare (z.B. Körper- und Sinnes-)Behinderungen. Wichtig ist dabei, dass der Nachteil durch die genannten Unterstützungen ausgeglichen werden kann.

studienwahl.de: Gibt es aus Ihrer Erfahrung Studierende oder Studieninteressierte, die trotz Beeinträchtigung keine Hilfen beantragen wollen – und welche Gründe kann das haben?

Stephanie Feinen: Ja, es gibt Personen, die bewusst oder unbewusst auf Unterstützungen im Studium verzichten. Manche Studierende, insbesondere mit nicht-sichtbarer Behinderung, entscheiden sich bewusst gegen Nachteilsausgleiche o.ä., weil sie sich einerseits nicht outen und andererseits nicht „anders“ als andere Studierende behandelt werden möchten. Das ist ihr gutes Recht, es handelt sich ja um eine persönliche Entscheidung, bei der es kein „richtig“ oder „falsch“ gibt. Auch Angst vor Ausgrenzung kann eine Rolle spielen.
Es gibt aber auch Studierende mit Behinderung, die nicht wissen, dass auch sie zur Zielgruppe dieser Unterstützungsmaßnahmen gehören. Hier ist noch immer viel Sensibilisierungsarbeit erforderlich.

Beispiele aus der Praxis: Das Studium mit Behinderung oder chronischer Erkrankung