Geisteswissenschaften

Geisteswissenschaften - und dann?

Blick von oben in eine Bibliothek.
Foto: Thomas Lohnes | Bundesagentur für Arbeit

Das Klischee vom brotlosen Studium der Geisteswissenschaften hält sich hartnäckig. Dabei sind Geisteswissenschaftler*innen vielseitig einsetzbar und eine attraktive Option in zahlreichen Arbeitsbereichen.

Ein Porträt-Foto von Anna.
Foto: privat

Anna (23) studiert Englisch und Philosophie auf Lehramt an der Georg-August-Universität Göttingen. „Dafür habe ich mich aus reinem Interesse an den Inhalten entschieden. Ein genaues Ziel, was ich danach arbeiten möchte, hatte ich während meiner Studienwahl nicht im Kopf. Ich versuche herauszufinden, welche Bereiche mir Spaß machen und welche eher weniger.“ Trotz der Lehramtsoption liegt der Fokus in diesem Bachelorstudium auf dem Fachspezifischen und weniger auf pädagogischen Inhalten.

Beispiele aus der Praxis: Geisteswissenschaften studieren

Wegweisende Schulpraktika

„Anhand der einzelnen Pädagogikvorlesungen und Schulpraktika kann man gut herausfinden, ob pädagogische Lehrberufe etwas für einen sind. Mir wurde klar, dass ein Job an einer traditionellen Schule nicht das Richtige für mich wäre, auch wenn ich sehr gern privat Nachhilfe gebe. Aber genau für diesen Erkenntnisgewinn ist das Bachelorstudium wohl da.“ Anna befindet sich nun im siebten Bachelor-Semester. Aufgrund der pandemischen Lage ermöglicht das Bundesland Niedersachsen allen Studierenden drei Extra-Semester auf Regelstudienzeit.

In der philosophischen Abteilung lernen die Studierenden zunächst Grundlegendes zur praktischen und theoretischen Philosophie – dazu gehören etwa Ethik und Moral beziehungsweise Fächer wie Metaphysik. Auch geschichtliche Themen mit Bezug zu Philosophen wie Platon oder Aristoteles stehen auf dem Lehrplan. Am Englischen Seminar sind die Kurse grob geteilt in Linguistik (Allgemeine Sprachwissenschaft) und Literatur, außerdem gibt es Einführungskurse zu Grammatik und Aussprache. „Nach ein paar Semestern kristallisierte sich für mich heraus, welche Bereiche ich jeweils am spannendsten finde. Diese Schnittstelle versuche ich nun in meiner anstehenden Bachelorarbeit zu vereinen und danach wahrscheinlich einen Masterstudiengang zu finden, der meinem Schwerpunkt entspricht.“

Orientierung während des Studiums

„Dass Studierende sich aus reinem Interesse für das Studium entscheiden, ist sehr typisch für die Geisteswissenschaften“, kommentiert Markus Bremer, Berufsberater an der Arbeitsagentur Göttingen. „Verschiedene Studien zeigen, dass die Entscheidung für solch ein Studium oft intrinsisch motiviert ist, also vom Fach her erfolgt, und bei der Wahl eher die persönliche Entfaltung im Vordergrund steht als die Karriereorientierung.“ Wie der Berater weiß, ist es auch kein Nachteil, während des Studiums noch kein genaues Ziel zu haben. „Das ist bei Studienstart auch nicht unbedingt wichtig, denn Studiengänge der Geisteswissenschaften eröffnen ein sehr breites Berufsfeld. Hier lässt sich das Ziel auch im Studium entwickeln, wichtig ist nur, dass man dieses Ziel nicht aus den Augen verliert und möglichst schon während des Studiums Schritte in Richtung Berufsfindung entwickelt.“

So hat Anna auf dem Weg über ein Schulpraktikum erfahren, dass der Lehrer*innenberuf nicht das Richtige für sie ist. „Das ist immer noch besser als einen Master of Education aufzusatteln und es erst dann festzustellen.“ Nun kann sie sich frühzeitig umorientieren, die Berufswelt ausloten. Das funktioniert weiterhin am besten über Praktika, Hospitationstage, vielleicht auch über Gespräche mit Berufspraktiker*innen – unterstützt von Beratungsangeboten wie dem Hochschulteam der Bundesagentur für Arbeit oder dem Career Service an der jeweiligen Hochschule. Das allgemeine Fazit von Markus Bremer: „Der ideale Berufseinstieg kommt einem nicht auf dem Sofa in den Sinn, sondern in der direkten Auseinandersetzung mit dem Berufsleben.“ Als positiv bewertet er, dass Anna bereits ein Studium gefunden hat, das ihr Spaß macht. „Sie sollte sich schon im Studium Zeit nehmen, um berufliche Erfahrungen zu sammeln und sich nicht ausschließlich auf eine gute Modulnote konzentrieren.“

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Insgesamt sind die Berufsmöglichkeiten von Geisteswissenschaftler*innen laut Markus Bremer sehr breit. „Das zeigen verschiedene Studien und auch meine Erfahrungen als Berater mit Schwerpunkt Geistes- und Sozialwissenschaftler. Im Grunde genommen stehen viele Berufe im Fokus, bei denen erwartet wird, dass man studiert hat, es aber weniger auf studienbezogenes Fachwissen ankommt.“ Da gibt es eine ganze Menge, wie er aufzählt: „der literarisch-publizistische Bereich, Content Management, Social Media Management, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Werbung, Marktforschung, Beratung, Consulting, Kulturmanagement, Museumspädagogik, Erwachsenenbildung… Bereiche wie diese werden gern mit Geisteswissenschaftlern besetzt, genauso der Arbeitsbereich der Behörden, Parteien, Verbände und Gewerkschaften.“

Geisteswissenschaftler*innen werden geschätzt, weil sie gelernt haben mit Texten und Komplexität umzugehen und abstrakt zu denken. Auch sind sie in der Lage, selbst Texte zu verfassen. Deswegen sind sie ebenso in fachfremden Berufen gefragt wie etwa in vielen Tätigkeitsfeldern der Wirtschaft, beispielsweise Human Ressources oder Informationstechnologie „Das Gros der Absolvierenden landet in Tätigkeitsbereichen, die nicht mehr viel mit den Inhalten des Studiums zu tun haben – umso mehr kommt es also auf die praktischen Erfahrungen an.“

Und wie sieht die Arbeitsmarktsituation von Geisteswissenschaftler*innen derzeit aus? „Im Verlauf des Jahres 2020 wurden der Bundesagentur für Arbeit 1.100 Stellenangebote gemeldet, die sich explizit an Sprach- oder Geisteswissenschaftler*innen richteten. Das waren 23 Prozent weniger als im Vorjahr“, sagt Ralf Beckmann vom Team Arbeitsmarktberichterstattung der Bundesagentur für Arbeit. Mit gut 200 öffentlichen Stellenangeboten bewegten diese sich monatsdurchschnittlich weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau. Dennoch ist die Zahl der Arbeitslosen, die eine geisteswissenschaftliche Tätigkeit anstrebten, von 2015 bis 2019 kontinuierlich gesunken. Mit 3.400 Arbeitslosen wurde 2020 ein coronabedingter Anstieg von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnet. Gegenüber 2010 war die Arbeitslosigkeit 2020 dennoch weiterhin deutlich geringer (minus 17 Prozent).

„Insgesamt hat sich der Arbeitsmarkt für Geisteswissenschaftler zwar positiv entwickelt; er stellt sich aber nicht unproblematisch dar“, resümiert der Statistiker. „Die Zahl der Erwerbstätigen ist in den vergangenen Jahren sehr stark gestiegen. Allerdings verläuft der Berufseinstieg oft alles andere als einfach, da es nur wenige Stellenangebote gibt, die sich explizit an die Vielzahl der Absolventen geisteswissenschaftlicher Studiengänge richten. Eine frühzeitige berufliche Orientierung, Flexibilität und regionale Mobilität sind daher wichtig für eine erfolgreiche Etablierung am Arbeitsmarkt.“

Weitere Informationen

studienwahl.de

Infoportal der Bundesagentur für Arbeit und der Stiftung für Hochschulzulassung.
www.studienwahl.de

abi.de

Infoportal der Bundesagentur für Arbeit zur beruflichen Orientierung für Abiturient*innen und Studierende.
abi.de

Hochschulkompass

Informationen über deutsche Hochschulen, deren Studien- und Promotionsmöglichkeiten sowie Internationale Kooperationen
www.hochschulkompass.de