
Ohne Abitur in den Hörsaal
Wer studieren möchte, braucht das Abi? Falsch! Rund 70.000 Frauen und Männer bundesweit studieren derzeit ohne Hochschulreife. Sie haben sich mit einer Ausbildung, Berufserfahrung und gegebenenfalls einer Weiterbildung entsprechend qualifiziert.

Kfz-Mechatroniker, Handwerksmeister, Betriebswirt, Kfz-Sachverständiger – nach seiner Mittleren Reife im Jahr 2011 bildete sich Daniel Schmitt stetig weiter, besuchte Kurse, lernte und bestand Prüfungen. Schließlich wagte er den Schritt an die Hochschule. Seit Oktober 2023 studiert der 32-Jährige den gebührenpflichtigen Bachelorstudiengang Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensführung an der Hochschule München – berufsbegleitend neben einer Vollzeitstelle beim Versicherungsunternehmen Dekra. Das bedeutet: Einmal pro Woche nimmt er nach Feierabend an Onlineveranstaltungen teil, zusätzlich freitagnachmittags und samstags an Präsenzterminen. Den Stoff zu den Themen wie Wirtschafts- und Finanzmathematik, Bilanzierung und Personalwirtschaft muss er dann eigenständig aufarbeiten. Nach jedem Semester finden Prüfungen statt.
Fürs Studium qualifiziert Daniel Schmitt sein Meisterabschluss – bundesweit berechtigt diese Aufstiegsfortbildung auch ohne Abitur zu einer Studienplatzbewerbung. Dank weiterer Vorqualifikationen wie dem Betriebswirt kann er die Studiendauer von elf auf fünf Semester verkürzen. Seine Motivation sind die besseren Aufstiegschancen: „Man kann der beste Kfz-Mechatroniker sein, der um zwei Uhr nachts mit zugebundenen Augen ein Auto bis auf die kleinste Schraube zerlegt und wieder zusammensetzt – trotzdem erreicht man manche Positionen nur mit akademischem Titel“, erläutert er. Sein berufliches Ziel: eine Führungsposition bei einer Versicherung.
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Mit einem Abschluss als Meister*in oder Fachwirt*in etwa darf man sich in der Regel an jeder Hochschule für ein Studium in einem Fach seiner Wahl bewerben.
Anna-Lena Thiele, Senior Projektmanagerin im Bereich Hochschulforschung beim CHE
Berufsausbildung ist Grundvoraussetzung
Im Jahr 2023 waren laut Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) rund 70.000 Personen ohne Hochschulreife an einer deutschen Hochschule eingeschrieben. Bundesweit kann aus mehr als 9.500 Studiengängen an Universitäten und Fachhochschulen beziehungsweise Hochschulen für angewandte Wissenschaften gewählt werden. Besonders beliebt ist die Fächergruppe Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, gefolgt von den Ingenieurwissenschaften.
Das CHE hat die genannten und viele weitere Zahlen, Daten und Fakten zum Thema erhoben. Auf der Seite studieren-ohne-abitur.de bündelt es zudem zahlreiche Tipps und Infos, unter anderem zu den verschiedenen Zugangswegen, die es ermöglichen, auch ohne allgemeine Hochschul- oder Fachhochschulreife zu studieren. Denn: „Je nach Bundesland gelten unterschiedliche Kriterien für die Bewerber*innen“, erklärt Anna-Lena Thiele, Senior Projektmanagerin im Bereich Hochschulforschung beim CHE.
Zwei Konstanten gibt es jedoch: Grundvoraussetzung ist stets eine abgeschlossene Berufsausbildung. Und nach einer beruflichen Aufstiegsfortbildung ist der eigene Abschluss automatisch mit der allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung gleichgestellt: „Mit einem Abschluss als Meister*in oder Fachwirt*in etwa darf man sich in der Regel an jeder Hochschule für ein Studium in einem Fach seiner Wahl bewerben“, weiß die CHE-Expertin. Die Anerkennung erfolgt in der Regel durch die jeweilige Hochschule.
Beispiele aus der Praxis: Studieren ohne Abitur
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Verschiedene Zulassungskriterien
Auch ohne Meister*in oder Fachwirt*in-Titel gibt es Wege an die Hochschule: Mit einer Berufsausbildung und Berufserfahrung kann ein Zugang auf dem Niveau einer fachgebundenen Hochschulreife erlangt werden. In diesem Fall muss das gewünschte Studienfach inhaltlich zum ausgeübten Beruf passen. Die Voraussetzungen für den Erwerb variieren stark. In der Regel muss man berufliche Erfahrung nachweisen. In Niedersachsen etwa gibt es die 3plus3-Regel: Nach Ausbildung plus drei Jahren Berufserfahrung kann man fachgebunden studieren. In einigen wenigen Bundesländern ist an manchen Hochschulen ein Studium unter bestimmten Voraussetzungen auch nur mit einem Ausbildungsabschluss ohne weitere Berufserfahrung möglich.
Weitere Zulassungskriterien können – gegebenenfalls zusätzlich zur Berufserfahrung – Probestudium, Beratungsgespräch und/oder das Bestehen einer Eignungsprüfung sein. „Die Inhalte dieser Tests variieren. Ihr Zweck ist es, die Studierfähigkeit zu überprüfen“, erklärt Anna-Lena Thiele.
Aufgrund der vielen bundesland- und hochschulspezifischen Unterschiede sei es wichtig, sich zunächst zu informieren, was am anvisierten Hochschulstandort verlangt wird, rät die Expertin. Dabei hilft das CHE-Tool CHECK Qualifikation: Nach Eingabe von beruflicher Qualifikation und Bundesland erhält man Infos darüber, ob und unter welchen Voraussetzung ein Studium ohne Abitur möglich ist.
Weitere Informationen
Studiensuche der Bundesagentur für Arbeit
In der Studiensuche kannst du recherchieren, welche Studiengänge an welchen Hochschulen in Deutschland angeboten werden.
www.arbeitsagentur.de/studiensuche
studieren-ohne-abitur.de
Studienführer des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) für beruflich Qualifizierte mit Informationen zur Studienzulassung ohne Abitur und der Möglichkeit, Studienangebote zu recherchieren.
www.studieren-ohne-abitur.de
Centrum für Hochschulentwicklung (CHE)
Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW)
Deutscher Qualifikationsrahmen (DQR)
Auf dieser Seite des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Kultusministerkonferenz werden die Qualifikationen des deutschen Bildungssystems in international vergleichbare Kategorien eingeordnet.
www.dqr.de